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Das Ideal des Salons – Tango als soziale Utopie?

Tango – Die einende Kraft des tanzenden Eros

Das Tangopaar taucht zwar in sein ganz eigenes metaphysisches Universum ein, teilt diese Erfahrung aber mit all den anderen Tänzern, mit denen es gemeinsam den Salon bildet.

Menschen aller sozialen Schichten, verschiedenster Berufe, Interessen und Altersgruppen treffen sich beim Tango. Und doch verbindet sie eines: Die magische Anziehung, die der Tango auf sie ausübt. Er veranlasst sie, die Nächte zusammen zu verbringen, einander kennenzulernen, indem sie beobachten, miteinander tanzen, ihre Partner tauschen, miteinander reden oder einfach nur zusehen.

Der Tango lehrt uns, aufeinander einzugehen.

Er funktioniert nicht mit Ellbogenmentalität, sondern verlangt uns Achtsamkeit und einen sensiblen Umgang ab. Jedes Tangoparkett ist ein Paradies für einen Chaosforscher. Jeder Führende muss in seinem Tanz pausenlos die Bewegung aller miteinbeziehen. Man kann nicht einfach etwas durchziehen, das man sich vorgenommen hat. Man lernt vielmehr, spontan alle Möglichkeiten zu nutzen, die sich gerade bieten, ohne sich ein Mehr auf Kosten der Bewegungsfreiheit anderer Paare zu erzwingen.

Doch leider sieht die Wirklichkeit auf den europäischen Tanzflächen oft anders aus.

Sie ist den Werten des Tangos meist exakt entgegengerichtet und führt ihn nicht selten dadurch ad absurdum. Man versucht dort, auf Kosten anderer zu glänzen und den Salon als Bühne zu erobern. Man glaubt an die Macht komplizierter Figuren und gibt ihnen gegenüber der Verdichtung, der Formvollendung und Musikalität des eigenen Tanzes den Vorrang.

Zum Teil liegt es sicherlich an den Tanzlehrern, doch nicht zuletzt werden dem Tango seine Figuren wohl deshalb zum eigenen Grab, da ihm die Luft, die ihn vom Zeitgeist her anweht, und der allgemeine Umgang miteinander nicht allzu gut bekommt.

Der Tango stammt aus einer Kultur und Zeit, in der die Menschen noch sehr viel darauf gaben, Klasse zu haben.

Man leistete sich gern den Luxus, eine Haltung zu besitzen und diese auch zu leben. Individuelle Formvollendung galt durchaus als Ideal, natürlich mit all den narzistischen Spielarten. Doch man hielt sich damals zumindest zugute, dass man seine Bewegungen in einer Form zu meistern verstand, die all den anderen Tanzpaaren ebenfalls maximale Bewegungsfreiheit zugestand.

Da in den guten Salons darüber Konsens herrschte, drückte sich auf den entsprechenden Tanzflächen tatsächlich eine gesellschaftliche Utopie im Kleinen aus, nämlich das sich selbst, aus Eigenverantwortung und Achtsamkeit heraus regulierende harmonische Ganze.

 

Dieses ist ein Kapitel aus dem Buch:
"Tango – Die einende Kraft des tanzenden Eros"
von  Ralf Sartori und Petra Steidl.

"Gespendet" von ponitango

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